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Westdeutscher Rundfunk (WDR)

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Zwischen bauchfrei und Burkini. Wieviel Blöße erlaubt die Religion?

Veröffentlichung:17.12.2025

„Zwischen bauchfrei und Burkini. Wieviel Blöße erlaubt die Religion?“ (WDR Lebenszeichen, Kirsten Dietrich, 21.09.2025) fragt danach, wie Kleidung, Körper, Scham, Würde, Respekt und Macht religiös (und kulturell) gedeutet werden – und warum „Bedeckung“ nie nur eine private Stilfrage ist. Der Beitrag verbindet persönliche Stimmen (u. a. aus Judentum, orthodoxem Christentum, Sikh-Religion und muslimischen Kontexten) mit religionswissenschaftlichen und kulturanthropologischen Perspektiven – und zeigt: Was als „zu viel“ oder „zu wenig“ gilt, ist umkämpft, kontextabhängig und historisch geprägt.

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Der Beitrag entfaltet das Thema „Blöße und Bedeckung“ als eine Art Brennglas, in dem religiöse Praxis, gesellschaftliche Normen und Machtfragen sichtbar werden. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass in heiligen Räumen – Kirchen, Klöstern, Moscheen, Tempeln – häufig eigene Dresscodes gelten, die unabhängig von Mode, Jahreszeit und Alltagspraxis funktionieren. Gleichzeitig macht die Sendung deutlich, dass solche Regeln nicht einfach „die Religion“ abbilden, sondern innerhalb derselben Tradition unterschiedlich interpretiert, gelebt und begründet werden: als Respekt vor dem Sakralraum, als Schutz der Konzentration auf Liturgie und Ikonen, als Ausdruck von Würde und Demut oder als bewusste religiöse Selbstbindung.


Konkrete Beispiele veranschaulichen diese Vielfalt. Eine observant lebende Jüdin beschreibt ihre Praxis der Bedeckung (Kopf, Körper, Beine), die sie als frei getroffene Entscheidung im Rahmen der Halacha versteht – inklusive der Einsicht, dass selbst in strengen Regelwerken persönliche Geschmacksentscheidungen und kulturelle Schichten (z. B. „würdige“ Männerkleidung) eine Rolle spielen. Eine orthodoxe Christin erzählt von einer prägenden Kindheitserfahrung im Kloster, die bis heute als Körpergedächtnis nachwirkt: In sakralen Räumen „kurz innehalten“, Schultern und Knie bedecken, um Konflikte zu vermeiden – und zugleich wird sichtbar, wie Normen auch außerhalb des religiösen Raums (z. B. Schule/Sportunterricht) verhandelt werden. Eine Sikh-Frau erläutert Regeln im Gurdwara (Kopfbedeckung, praktische Kleidung, Barfußgehen, Umgang mit den Füßen in Richtung der heiligen Schrift) und macht zugleich deutlich, wie kulturelle Praxis (Sari) und religiöse Vorstellungen von Bescheidenheit sich überlagern – bis hinein in die Kolonialgeschichte, in der europäische Vorstellungen von „Nacktheit“ und „Anstand“ global exportiert wurden und lokale Kleidungspraktiken neu codierten. Dadurch wird „Bedeckung“ nicht nur als religiöse Regel, sondern als historisch-politische Dynamik sichtbar.


Religionswissenschaftlich akzentuiert der Beitrag, dass Kleidung ein kultureller Code ist, der selten eindimensional gelesen werden kann: In religiösen Settings treffen institutionelle Vorstellungen vom Sakralraum auf individuelle Körperdeutungen – beides kann „zur selben Religion“ gehören, ohne deckungsgleich zu sein. Besonders lernwirksam ist die Unterscheidung, ob Menschen sich selbst als entblößt empfinden oder von außen so gelesen werden: Genau hier entstehen Missverständnisse, Abwertungen und Machtasymmetrien – etwa, wenn koloniale oder Mehrheits-Blicke entscheiden, was als „nackt“, „unzivilisiert“ oder „unanständig“ gilt. Der Beitrag rahmt dies zudem mit Mythen (Adam und Eva; Gilgamesch/Enkidu), in denen Kleidung als Marker von „Kulturwerdung“, sozialer Ordnung und Zivilisation erscheint, aber je nach Tradition sehr verschieden bildlich und theologisch gedeutet wird (z. B. Ikonenwelt vs. westliche Nacktheit in Kunst; spirituelle Scham vor Gott statt Körper-Scham).


Didaktisch eignet sich das Material hervorragend, um Körper- und Kleidungsthemen aus der moralischen Kurzschlusslogik („richtig/falsch“, „unterdrückt/frei“) zu lösen und stattdessen Analysekompetenz aufzubauen: Lernende können herausarbeiten, welche Funktionen Kleidung in religiösen Kontexten übernimmt (Würde, Demut, Zugehörigkeit, Schutz, Konzentration, Abgrenzung, Identität, Traditionsbindung), wo sie zum Austragungsort von Geschlechterverhältnissen wird, und wie schnell die Debatte in Kontrolle kippt – etwa, wenn Männer „Sicherheit“ oder „Respekt“ an weibliche Kleidung koppeln oder wenn soziale Medien Bedeckung politisieren. Wichtig ist dabei eine klare Gesprächskultur: keine Bewertung von Körpern, keine Bloßstellung, Freiwilligkeit bei persönlichen Bezügen, und die Unterscheidung zwischen Beschreibung (was wird begründet?), Analyse (welche Interessen/Normen wirken?) und Urteil (wie kann ein respektvoller Umgang aussehen?).


Methodisch bieten sich drei Unterrichtswege an, die ohne Übergriffigkeit auskommen: Erstens eine Kontextanalyse („Was gilt wo – und warum?“: Strand, Schule, Gotteshaus, Öffentlichkeit). Zweitens ein Perspektivenvergleich zwischen Religionen, aber auch innerhalb einer Religion („eine Tradition – viele Lebensweisen“). Drittens eine Macht- und Diskriminierungsperspektive, die die asymmetrische Lesbarkeit religiöser Codes thematisiert: Warum wird die eine Bedeckung als „Problem“ markiert und die andere übersehen? So lässt sich das Thema direkt mit Menschenwürde, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und demokratischer Streitkultur verbinden – und Lernende üben, Ambivalenzen auszuhalten: Kleidung kann Ausdruck von Freiheit sein, aber auch von Druck; sie kann schützen, aber auch kontrollieren; sie kann Zugehörigkeit stiften, aber auch Ausgrenzung befeuern.

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17.12.2025

Interreligiöser Dialog

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