Demgegenüber betonen andere Theologen wie Matthias Clausen, Marius Reiser oder Rainer Riesner, dass die Evangelien sehr wohl historische Informationen enthalten. Sie verweisen erstens auf den im antiken Vergleich kurzen zeitlichen Abstand von nur etwa 40 bis 70 Jahren zwischen Jesu Leben und der schriftlichen Fixierung der Evangelien. Zweitens hätten zur Entstehungszeit noch zahlreiche Augenzeugen gelebt, die falsche Darstellungen korrigieren konnten – auffällig sei außerdem, dass die Jünger in den Evangelien keineswegs idealisiert werden, obwohl dies im Falle manipulierten Erinnerns zu erwarten wäre. Drittens äußerten die Evangelisten selbst klar ihren historischen Anspruch: Lukas betont, sorgfältig nachgeforscht zu haben, und Johannes verweist ausdrücklich auf eigene Erlebnisse und die Wahrhaftigkeit seines Berichts. Für beide gehörte historisches Erzählen und Glaubensverkündigung zusammen. Viertens sprechen die über 5000 erhaltenen Handschriftenfragmente mit meist nur geringen Textunterschieden für eine erstaunlich genaue Überlieferung und ermöglichen eine zuverlässige Rekonstruktion des ursprünglichen Textes.
Das größte Hindernis für moderne Leser bleibt die Frage nach den Wundern. Oft wird argumentiert, die Evangelien könnten nicht glaubwürdig sein, weil sie von Übernatürlichem berichten. Doch dieser Einwand setzt bereits voraus, dass Wunder unmöglich sind. Betrachtet man hingegen die Evangelienberichte als historisch gut belegt, könnten gerade die Wunder darauf hinweisen, dass Gott durch Jesus übernatürlich gehandelt habe – bis hin zur Überwindung von Krankheit und Tod.
So bleibt die zentrale Frage offen: Wie historisch sind die Evangelien? Sind sie vor allem mythische Glaubenszeugnisse, oder bewahren sie zugleich verlässliche Informationen über das Wirken Jesu? Während Bultmann die mythischen Elemente vollständig von der Geschichte trennen wollte, sehen andere Forscher in den Evangelien sowohl Glaubenstexte als auch wertvolle historische Quellen, die von einem einzigartigen Handeln Gottes berichten. Dabei stellt sich schließlich die Frage, ob es für den christlichen Glauben wichtig ist, dass die Evangelien historischen Anspruch erheben – und warum vielen Christen bis heute daran liegt, dass sie nicht nur reine Glaubenszeugnisse, sondern auch geschichtliche Dokumente sind.