Gleichzeitig macht das Material deutlich, dass Individualität und Gemeinsinn in Spannung zueinander stehen. Moderne Gesellschaften haben stark auf Selbstverwirklichung gesetzt, was zwar Freiheit geschaffen, aber auch Einsamkeit und Vereinzelung gefördert hat. Der Text betont, dass eine Balance notwendig ist: „Den Nächsten lieben wie sich selbst“ wird als Leitmotiv präsentiert, um Individualität nicht gegen Gemeinschaft auszuspielen.
Vielfältige gesellschaftliche Herausforderungen verstärken die Notwendigkeit eines erneuerten „Wir“: Wohlstandsgefälle, Migration, Digitalisierung, Polarisierung und die Folgen des Klimawandels stellen den sozialen Zusammenhalt auf die Probe. Die Beiträge beschreiben, dass ein inklusives „Wir“ alle Menschen umfasst – unabhängig von Herkunft, Religion, Vermögen oder Lebenssituation. Homogenitätsfantasien werden dabei als Gefahr beschrieben, weil sie Diskriminierung, Parallelgesellschaften und gesellschaftliche Spaltung fördern.
Das Material zeigt an vielen Beispielen, wie Gemeinsinn praktisch eingeübt werden kann. Ein eindrücklicher Bericht schildert, wie eine Schulklasse durch die Aufnahme und Unterstützung eines ausgegrenzten Mädchens eine grundlegende Veränderung der eigenen sozialen Kultur erfuhr. Aus anfänglichem Mobbing entstand Mitgefühl, Verantwortungsbereitschaft und ein neues Miteinander, das letztlich auch die Leistungsfähigkeit der Klasse stärkte. Dieser Erfahrungsbericht verdeutlicht, dass Empathie, Mut und soziale Verantwortung in Lernprozessen angelegt und gestärkt werden können.
Neben theologischen und pädagogischen Perspektiven nimmt das Material auch gesellschaftspolitische Felder in den Blick, in denen Gemeinsinn gefordert ist: Fragen der gerechten Steuerpolitik, nachhaltige Geldanlagen oder alternative Tauschsysteme werden als konkrete Möglichkeiten vorgestellt, wie Bürgerinnen und Bürger solidarisches Handeln im Alltag gestalten können. Dabei wird betont, dass wirtschaftliche Entscheidungen stets Wirkungen auf das Gemeinwohl haben. Initiativen wie „taxmenow“ oder nachhaltige Finanzinstrumente werden als Beispiele präsentiert, wie der Einsatz für Gerechtigkeit über das persönliche Umfeld hinausreichen kann.
Schließlich betont das Material die Bedeutung von Begegnungsräumen und sozialer Infrastruktur, um Gemeinsinn zu fördern: Quartiersarbeit, Vereine, Kirchengemeinden oder Nachbarschaftsinitiativen schaffen Orte, an denen Austausch, Teilhabe und gemeinsames Handeln möglich werden. Gemeinsinn wird dabei als zentrale Kompetenz des 21. Jahrhunderts beschrieben, die Menschen in Krisenzeiten resilient macht und demokratische Gesellschaften stärkt.
Insgesamt zeigt das Unterrichtsmaterial, dass Gemeinsinn sowohl religiös begründet als auch gesellschaftlich notwendig ist. Er entsteht dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, sich sichtbar und wirksam füreinander einsetzen und Strukturen schaffen, die Teilhabe ermöglichen. Die Texte laden dazu ein, Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit Solidarität, Gerechtigkeit und sozialer Verantwortung anzuregen und ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie selbst zum Gelingen eines „neuen Wir“ beitragen können.