Im Zentrum steht nicht das Grauen der Opfer, sondern die Täterperspektive – eine bewusste Entscheidung, die verstört, aber erhellt. Denn Ruzowitzky zeigt auf, dass das Böse nicht nur in ideologischen Monstern, sondern in ganz gewöhnlichen Menschen lauern kann – begünstigt durch Gruppenzwang, Gehorsam, Abgabe von Verantwortung und gesellschaftliche Normalisierung der Gewalt. Durch die Verbindung mit sozialpsychologischen Experimenten wie jenen von Milgram, Zimbardo oder Asch wird deutlich: Die Mechanismen, die zum Bösen führen, sind nicht vergangen – sie sind auch heute wirksam.
Der Film setzt damit einen starken ethischen Impuls: Er mahnt zur Achtsamkeit, zur Verantwortung und zum Mut, Nein zu sagen – gegen Unrecht, Ausgrenzung und Gewalt. Er lädt ein zur Auseinandersetzung mit Schuld, Gewissen, Zivilcourage und der Frage, was ein Mensch bereit ist zu tun, wenn „alle es tun“. Dabei werden auch religiöse Deutungsmuster nicht ausgeklammert, sondern kritisch hinterfragt: Ist das Böse eine übernatürliche Macht – oder Ausdruck menschlicher Entscheidung? Was bedeutet Verantwortung im biblisch-christlichen Sinn?
Für den katholischen Religionsunterricht ab der Oberstufe bietet der Film zahlreiche Anknüpfungspunkte: Das Böse als theologisches und ethisches Problem, Verantwortung und Gewissen, Zivilcourage und Widerstand, Täter-Opfer-Rollen, historische und aktuelle Formen der Gewalt, Schuld und Vergebung, sowie die Frage nach dem Menschenbild in biblischer und säkularer Perspektive. Besonders wertvoll sind die Verbindungen zu Hannah Arendts Begriff der „Banalität des Bösen“ und zu aktuellen Formen von Rassismus, Ausgrenzung und Rechtfertigungsnarrativen.
Didaktisch bietet der Film durch das umfangreiche Begleitmaterial (Filmheft, Arbeitsblätter, Rollenspiele, Diskussionsimpulse) zahlreiche methodische Möglichkeiten. Die Schüler*innen können sich mit Täterperspektiven auseinandersetzen, psychologische Experimente kritisch reflektieren, die Darstellung des Bösen in Religion und Philosophie untersuchen, Definitionen erarbeiten und Bezüge zu aktuellen Genoziden oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ziehen.
„Das radikal Böse“ ist kein einfacher Film – aber einer, der notwendig ist. Er konfrontiert mit dem Dunkel im Menschen, aber auch mit der Freiheit, sich dem zu widersetzen. Ein hochrelevanter Beitrag zu einer ethisch verantworteten, historisch bewussten und spirituell begründeten Religionspädagogik.