Das Praxismaterial „Was ist Gerechtigkeit?“, entwickelt im Rahmen des Projekts JUGEND PRÄGT vom Landesjugendring Thüringen e. V., bietet Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften ein tiefgreifendes und gleichzeitig praxisnahes Instrument zur Auseinandersetzung mit dem vielschichtigen Thema Gerechtigkeit. Konzipiert für den Einsatz mit Jugendlichen ab etwa 14 Jahren, ermöglicht es die Bearbeitung grundlegender gesellschaftlicher, moralischer und politischer Fragen im Klassenzimmer oder in außerschulischen Bildungskontexten.
Zentraler Ausgangspunkt des Materials ist die Erkenntnis, dass Gerechtigkeit ein subjektives, kontextabhängiges und oft kontrovers diskutiertes Prinzip ist – und gleichzeitig eine tragende Säule demokratischer Gesellschaften. Genau an diesem Spannungsfeld setzt das Material an: In fünf modular aufgebauten Einheiten werden die Lernenden schrittweise dabei begleitet, ein eigenes, differenziertes Verständnis von Gerechtigkeit zu entwickeln – basierend auf Alltagserfahrungen, aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und philosophischen Grundkonzepten.
Die Module sind thematisch vielfältig: In Modul I geht es um das persönliche Gerechtigkeitsempfinden und darum, zu erkennen, dass Urteile über „gerecht“ oder „ungerecht“ stark von Perspektive und Erfahrung geprägt sind. Modul II nimmt Fairness als moralisches Prinzip unter die Lupe – mit kreativen Rollenspielen und Gruppenarbeiten zu Regeln und Umgangsformen im Alltag. In Modul III steht die Unterscheidung zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit im Fokus. Hier arbeiten die Jugendlichen z. B. mit Karikaturen, reflektieren unterschiedliche Lebensrealitäten und entwickeln eigene Comics. Besonders eindrücklich ist Modul IV, in dem die Lernenden anhand von Bewegung, Objekten (z. B. Süßigkeiten) und Diskussionsphasen verschiedene Modelle der Verteilungsgerechtigkeit (Gleichheitsprinzip, Leistungsprinzip, Bedarfsprinzip, Anrechtsprinzip) selbst erfahren, durchdenken und vergleichen. Schließlich widmet sich Modul V klassischen und modernen Gerechtigkeitstheorien – von Aristoteles über John Rawls bis zu heutigen Diskussionen. Die Jugendlichen erstellen Zeitstrahlen, Videoclips und reflektieren dabei, wie sich Gerechtigkeitsvorstellungen im historischen Wandel verändert haben.
Jedes Modul ist klar aufgebaut und enthält neben methodischen Anleitungen auch konkrete Materialien wie Arbeitsblätter, Fragestellungen, Tools für digitale Umsetzung (z. B. Mentimeter, Oncoo, Storyboard-Tools), Zeitvorgaben, Hintergrundtexte sowie Hinweise zur Differenzierung und Vertiefung. Die Methoden fördern nicht nur die kognitive Auseinandersetzung, sondern auch kreative, dialogische und handlungsorientierte Kompetenzen. Die Jugendlichen werden angeregt, sich selbst einzubringen, ihre Meinungen zu vertreten, Unterschiede auszuhalten und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
Für den Religionsunterricht eignet sich das Material in besonderem Maße, da es zentrale ethische und theologische Fragestellungen berührt: Was bedeutet Gerechtigkeit im Licht biblischer Tradition? Wie gehen wir mit sozialer Ungleichheit, Benachteiligung oder Privilegien um? Welche Verantwortung haben wir als Einzelne für das Gemeinwohl? In Verbindung mit den Grundwerten wie Menschenwürde, Nächstenliebe, Solidarität und Verantwortung kann das Material hervorragend in unterrichtliche Reihen zu Ethik, Moral, Menschenrechten oder diakonischem Handeln eingebettet werden. Es eröffnet dabei zugleich Perspektiven für interreligiöse und interkulturelle Lernprozesse.
Ein weiterer didaktischer Mehrwert liegt in der Möglichkeit, das Material fächerverbindend einzusetzen – etwa in Kombination mit Sozialkunde, Deutsch (Diskussion, Argumentation, Debatte), Geschichte (Rechtsgeschichte, Demokratieentwicklung) oder Wirtschaft (Verteilungsfragen). Auch für Projekttage, Demokratieworkshops oder Klassensprechertrainings bietet es vielfältige Einsatzoptionen.
Hinterlegt mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, anschaulichen Beispielen, klaren Lernzielen und methodischer Vielfalt ist „Was ist Gerechtigkeit?“ ein ideales Werkzeug, um junge Menschen zu befähigen, komplexe Gerechtigkeitsfragen differenziert zu betrachten, sich selbst als Teil gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zu begreifen – und sich mutig und begründet in den öffentlichen Diskurs einzubringen.
Das Material steht als kostenfreies OER (Open Educational Resource) zur Verfügung und kann ohne Einschränkungen weiterverwendet, angepasst und erweitert werden. Damit unterstützt es nicht nur zeitgemäßen Unterricht, sondern auch eine offene, demokratische und partizipative Bildungskultur.