Abt Nikodemus Schnabel, Benediktiner der Dormitio-Abtei in Jerusalem, lebt seit über 20 Jahren im Heiligen Land und verkörpert in seinem Leben und Wirken eine eindrucksvolle Verbindung von spiritueller Tiefe, kultureller Offenheit und gesellschaftlichem Engagement. Ursprünglich stammt er aus einer liberalen Künstlerfamilie und hatte mit Kirche zunächst wenig zu tun. Erste religiöse Erfahrungen sammelte er durch Freundschaften mit Kindern aus einem katholischen Heim und deren regelmäßigen Gottesdienstbesuchen. Die Liturgie, insbesondere ihre sinnlich erfahrbare Dimension, wurde für ihn zum zentralen Zugang zum Glauben – ein Glaube, der nicht nur den Verstand, sondern alle Sinne einbezieht.
Im Alter von 13 Jahren trat er zur katholischen Kirche über, zunächst mit dem Wunsch, Astronom, später Journalist oder Politiker zu werden. Nach einem prägenden Aufenthalt in Mexiko und einer schweren Krankheitserfahrung fand er in Jerusalem seine geistliche Heimat. Die Stadt mit ihrer Vielfalt an Religionen, Konfessionen und politischen Spannungen empfand er als zutiefst inspirierend. Für ihn war klar: Wenn Gott im Zentrum seines Lebens stehen soll, dann ganz – und so entschied er sich für das monastische Leben. Als Benediktiner bindet man sich bewusst an einen konkreten Ort – die sogenannte „Stabilitas loci“ –, und in der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg fand er seinen Platz.
Nikodemus betont, dass der benediktinische Weg keine spirituelle Leistungsshow sei, sondern eine Suche nach der Mitte. Er beschreibt sich selbst als „radikal moderat“ – gemäß der Regel Benedikts, die weder Übermaß noch Mangel gutheißt. Diese Haltung wurde auch im Krieg seit dem 7. Oktober 2023 spürbar: Während viele ausländische Institutionen das Land verließen, blieben die Benediktiner präsent. Ihre Klöster in Tabgha und Jerusalem blieben geöffnet, Gebetszeiten wurden gehalten – ein bewusstes Zeichen der Hoffnung und Treue. Besonders eindrucksvoll: Die Brüder beteten nicht nur für die Opfer, sondern auch für die Täter – in der Hoffnung auf Umkehr. Das, so Schnabel, sei kein politisches Statement, sondern Ausdruck des Evangeliums, das zur Feindesliebe aufrufe.
In einer Stadt, in der Glaube keine Privatsache ist, sondern das öffentliche Leben prägt, erlebt er auch die Kraft des interreligiösen Miteinanders. Für ihn ist Jerusalem ein Ort der Gottsucher – eine Herausforderung für Fanatiker, aber ein Segen für Menschen, die sich ernsthaft mit Religion auseinandersetzen. Anders als oft in Deutschland wird Glaube hier nicht wegdiskutiert, sondern gelebt. Das Pilgern – auch für viele säkulare oder distanzierte Menschen – nimmt daher für ihn an Bedeutung zu: als spirituelle Erfahrungsreise, auf der sich viele Menschen neu oder erstmals auf den Glauben einlassen.
Als Abt sieht er seine Aufgabe darin, den Brüdern zu dienen: ihnen Räume zu schaffen, in denen sie geistlich wachsen, beten und wirken können. Verantwortung bedeutet für ihn nicht Kontrolle, sondern Ermöglichung. Dass er Mönch geblieben ist, sieht er als Selbstverständlichkeit – Gottsucher zu sein, bleibt sein zentrales Lebensmotto, auch in Leitungsverantwortung.
Abt Nikodemus Schnabel macht deutlich: Die Kirche hat dann Zukunft, wenn sie sich auf ihre Mitte besinnt, sich nicht in Polarisierungen verliert, sondern Räume der Hoffnung und des Gebets öffnet. Für ihn ist klar: Der Kernauftrag der Kirche besteht darin, die Frage nach Gott wachzuhalten – gerade in einer zerrissenen Welt. Seine Haltung bietet viele Anknüpfungspunkte für den Religionsunterricht, etwa im Blick auf Berufung, interreligiösen Dialog, die Bedeutung liturgischer Praxis oder die Herausforderung der Feindesliebe im Angesicht von Krieg und Gewalt.